Kurt Georg Kiesinger (1904–1988)

Ministerpräsident und Kanzler der ersten Großen Koalition

Kurt Georg Kiesinger hat die Geschichte Baden-Württembergs geprägt, in der unmittelbaren Nachkriegszeit als einer der Wegbereiter des Südweststaats und vor allem als Ministerpräsident von 1958 bis 1966. Als Bundeskanzler der ersten Großen Koalition in der Bundesrepublik von 1966 bis 1969 kennzeichnete ihn vor allem seine Fähigkeit zum Kompromiss und Ausgleich. Im Regierungsbündnis zwischen CDU und SPD galt er als „wandelnder Vermittlungsausschuss“. Als Kanzler mit NS-Vergangenheit wurde er zum Feindbild der Jugend- und Studentenbewegung rund um „1968“ und zum Zielobjekt der berühmtesten Ohrfeige in der Geschichte der Bundesrepublik, als ihn die „Nazi-Jägerin“ Beate Klarsfeld am 7. November 1968 auf dem CDU-Parteitag in Berlin vor den Augen der Öffentlichkeit eine Ohrfeige gab.

Kurt Georg Kiesinger wurde am 6. April 1904 in Ebingen auf der Schwäbischen Alb geboren. Er begann ein geisteswissenschaftliches Studium in Tübingen, wechselte aber schon bald nach Berlin, um dort Rechts- und Staatswissenschaften zu studieren. Im Februar 1933 trat er der NSDAP bei, wurde als studentischer Funktionär aktiv und verweigerte im Herbst 1934 zunächst eine Anstellung als Richter. Er ließ sich stattdessen als Anwalt nieder und vertrat unter anderem auch Personen, die von der Gestapo verfolgt wurden. 1940 entzog er sich einer Einberufung in die Wehrmacht, indem er eine Stelle im Reichsaußenministerium annahm. Dort stieg er bis zum stellvertretenden Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung auf. Seine zumindest anfängliche Zustimmung zur Machtübernahme der Nationalsozialisten beschrieb er später als „nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunismus“. Den Judenhass der Nationalsozialisten habe er nicht geteilt. Vor allem in seiner Zeit als Bundeskanzler sollten ihn seine NSDAP-Mitgliedschaft und seine Karriere im NS-Staatsapparat einholen, wenngleich es auch Dokumente gab, die ihn entlasteten. Nach Kriegsende saß Kiesinger insgesamt 18 Monate lang in unterschiedlichen Internierungslagern der US-amerikanischen Besatzungsmacht in Haft. In seinem Entnazifizierungs-
verfahren wurde er zunächst als „Mitläufer“ eingestuft, 1948 aber vollständig entlastet.

Rasch machte Kiesinger nun Karriere in der CDU, zunächst als Landesgeschäftsführer in Württemberg-Hohenzollern, dann als Bundestagsmitglied von 1949 bis 1959 und erneut von 1969 bis 1980. Vor allem als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für auswärtige Angelegenheiten machte er auf sich aufmerksam und bekam als begabter Rhetoriker rasch den Spitznamen „Häuptling Silberzunge“. Immer wieder suchte Kiesinger im Bundestag Schnittmengen mit der SPD und engagierte sich darüber hinaus auch europapolitisch, unter anderem als Mitglied des Europaparlaments von 1956 bis 1958.

Im Dezember 1958 wurde Kurt Georg Kiesinger Ministerpräsident von Baden-Württemberg als Nachfolger von Gebhard Müller. In dieser Phase gehörte er auch dem Landtag von Baden-Württemberg an. In die Landesgeschichte ging er als Integrator des jungen Bindestrichlandes und als Modernisierer ein, aber auch als Ministerpräsident, der gerne repräsentierte. Vor allem in der Bildungspolitik setzte er Akzente, unter anderem als Gründer der Universitäten Konstanz und Ulm sowie mit dem Ausbau der Handelshochschule Mannheim zur vollgültigen Universität. Als im Herbst 1966 die Bundesregierung unter Ludwig Ehrhard zerbrach, wurde Kiesinger Kanzlerkandidat der CDU. Obwohl es bis dato teils fundamentale politische Unterschiede zwischen CDU und SPD gab, konnte Kiesinger zusammen mit dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt eine Große Koalition schmieden. Am 1. Dezember 1966 wurde er zum dritten Kanzler der Bundesrepublik gewählt.

Die nicht immer reibungslos funktionierende Große Koalition bestand – für viele Beobachter wider Erwarten – bis zu den Neuwahlen 1969 und setzte viele ihrer zentralen Vorhaben um, darunter eine große Strafrechtsreform, wichtige sozialpolitische Neuerungen wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, aber auch die heftig umstrittenen „Notstandsgesetze“, mit der die Koalition den Zorn der rebellierenden Jugend auf sich zog. 1967 wurde Kiesinger auch Bundesvorsitzender der CDU und blieb es bis 1971. Bei den Bundestagswahlen 1969 musste er jedoch eine herbe Enttäuschung einstecken. Zwar wurde die CDU mit ihm als Spitzenkandidat die stärkste Kraft, aber nun schmiedeten SPD und FDP eine sozialliberale Koalition mit Willy Brandt als Bundeskanzler. Kurt Georg Kiesinger blieb bis 1980 Bundestagsabgeordneter und zog sich dann als 76-Jähriger aus der Politik zurück.

Seinen Lebensabend verbrachte er in Tübingen. Von seinen Memoiren konnte nur der erste, bis 1958 reichende Teil erscheinen. Am 9. März 1988 starb Kurt Georg Kiesinger im Alter von 83 Jahren in der Universitätsstadt.


Download der Kurzbiographie (PDF)

Anregungen zum Weiterlesen:

  • BUCHSTAB, Günter/GASSERT, Philipp/LANG, Peter Thaddäus (Hrsg.): Kurt Georg Kiesinger 1904–1988. Von Ebingen ins Kanzleramt, Freiburg i. Br. 2005.

  • GASSERT, Philipp: Kurt Georg Kiesinger (1904–1988), in: Reinhold WEBER/Ines MAYER (Hrsg.): Politische Köpfe aus Südwestdeutschland, Stuttgart 2005,
    S. 299–309.

  • GASSERT, Philipp: Kurt Georg Kiesinger 1904–1988. Kanzler zwischen den Zeiten, München 2006.

  • RUNDEL, Otto: Kurt Georg Kiesinger. Sein Leben und sein politisches Wirken, Stuttgart 2006.

  • SCHMOECKEL, Reinhard/KAISER, Bruno: Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966–1969 und ihre langfristigen Wirkungen, Bonn 1991.


Links:


Filmtipps:

Zeitzeugen-Portal: Kurt Georg Kiesinge – Die normative Kraft des Faktischen

 

Die normative Kraft des Faktischen (YouTube)

Nach oben

Stöbern Sie weiter....

Nach oben

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.