Jella Lepman (1891–1970)

Friedensbotschafterin und Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek

Jella Lepman war Schriftstellerin und Journalistin – und sie war überzeugt von der friedensstiftenden Kraft von Büchern. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte die jüdische Stuttgarterin aus dem Londoner Exil nach Deutschland zurück, in das sie „die nie zu begreifende Katastrophe“ des Nationalsozialismus vertrieben hatte. Für sie musste Friedensarbeit und Demokratiebildung bei Kindern und Jugendlichen beginnen – und dafür sah sie Bücher als die richtige Brücke an. Voller Leidenschaft startete sie ihre Bücherinitiative, um nach der NS-Zeit den geistigen Hunger von Kindern und Jugendlichen zu stillen. 1949 gründete sie die Internationale Jugendbibliothek in München, bis heute die weltweit bedeutendste Bibliothek ihrer Art.

Jella Lepman wurde am 15. Mai 1891 in Stuttgart als Tochter des Textilfabrikanten Joseph Lehmann und seiner Frau Flora, geb. Lauchheimer, geboren. Mit zwei jüngeren Schwestern wuchs sie in dem jüdisch-liberalen Elternhaus auf. Sie besuchte das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart, ein Pensionat bei Lausanne und studierte anschließend Klavier. Bereits mit 17 Jahren zeigte Jella Lepman ein großes soziales Engagement und richtete in Stuttgart-Ostheim eine internationale Lesestube für die Kinder der ausländischen Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik ein. 1913 heiratete Jella den deutsch-amerikanischen Unternehmer Gustav Horace Lepman. 1918 wurde Tochter Anne-Marie, 1921 Sohn Günther geboren. Bereits ein Jahr später starb ihr Mann an den Folgen seiner schweren Kriegsverletzungen. Als junge Witwe und alleinerziehende Mutter kämpfte sich Jella Lepman nun als Kinderbuchautorin und Journalistin durch. Sie wurde die erste weibliche Redakteurin des liberalen „Stuttgarter Neuen Tagblatts“ und schrieb vor allem gesellschaftspolitische Kommentare. 1927 begründete sie die Beilage „Die Frau in Haus, Beruf und Gesellschaft“. 1928 erschien ihr erstes Kinderbuch („Der verschlafene Sonntag“) und im Württembergischen Landestheater wurde 1929 ihr Kindertheaterstück „Der singende Pfennig“ aufgeführt. Politisch engagierte sich Jella Lepman in der Frauengruppe der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Neben Theodor Heuss kandidierte sie 1929 – allerdings erfolglos – für den Reichstag.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde ihr Vertrag als Redakteurin aufgelöst. Bis 1935 konnte sie noch als freie Mitarbeiterin beschäftigt werden, 1936 musste sie mit ihren beiden Kindern als Staatenlose über Florenz nach London emigrieren. Hier arbeitete Jella Lepman unter anderem für die BBC. 1943 publizierte sie unter dem Pseudonym Katherine Thomas ihr Buch „Women in Nazi Germany“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie im Rahmen des Reeducation-Programms der Alliierten als Beraterin für Frauen- und Jugendfragen nach Deutschland zurück. In Stuttgart traf sie auf alte Weggefährten wie Theodor Heuss, Elly Heuss-Knapp, Reinhold Maier und den Buchhändler Konrad Wittwer. Nach einer mehrwöchigen Erkundungsfahrt durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland reifte ihr Plan, mit einer Bücherausstellung Kindern nach der zwölf Jahre langen Isolation wieder die Augen für die Welt zu öffnen. Mit Elan konnte sie weltweit Unterstützer und Geldgeber überzeugen, darunter auch die US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt. Im Juli 1946 eröffnete Jella Lepman in München die erste Ausstellung mit rund 4.000 Büchern aus zwanzig Ländern. Es war die erste internationale kulturelle Veranstaltung im Nachkriegsdeutschland. Im August 1946 kam die Wanderausstellung in die Württembergische Landesbibliothek nach Stuttgart und erreichte innerhalb von drei Wochen mehr als 15.000 Interessierte, bevor sie in Frankfurt, Hamburg und Berlin Station machte. Auch Erich Kästner konnte Jella Lepman als Unterstützer gewinnen. Sie inspirierte ihn zu seinem Bilderbuch „Die Konferenz der Tiere“. In dem Kinderbuchklassiker zur Völkerverständigung lässt er die Tiere zu Beginn des Kalten Krieges, als Friedensverhandlungen scheitern, sagen: „Wir werden die Welt schon in Ordnung bringen. Wir sind schließlich keine Menschen!“

Mit der Gründung der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) im September 1949 in München erhielt Lepmans Bildungsidee einen festen Ort. Seit 1983 hat die IJB ihren Sitz in Schloss Blutenburg in München-Obermenzing. Bis 1957 leitete Jella Lepman selbst die IJB. Zudem war sie an der Gründung der Fachzeitschrift „Bookbird“ und des internationalen Hans-Christian-Andersen-Preises, einer Art „Nobelpreis“ für Kinder- und Jugendliteratur, beteiligt. Ihrer Geburtsstadt Stuttgart blieb sie verbunden und unterstützte weiterhin die Württembergische Landesbibliothek. 1957 gab sie die Leitung der IJB ab, um ein Programm der Rockefeller Foundation für die Förderung der Jugendliteratur in Asien, Afrika und Lateinamerika zu betreuen. Dienstreisen führten sie nach Istanbul, Teheran und Beirut. Im Oktober 1958 nahm sie endgültig Abschied von München und verbrachte ihren Lebensabend in Zürich.

Am 14. Oktober 1970 starb Jella Lepman im Alter von 79 Jahren. Ihr Grabstein auf dem Züricher Friedhof Enzenbühl trägt die Inschrift: „Gebt uns Bücher, gebt uns Flügel!“


Download der Kurzbiographie (PDF)

Anregungen zum Weiterlesen:

  • BECCHI, Anna: Jella Lepman. Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek, in: LIBREAS 25/2014, S. 29–60.

  • BETTEN, Lioba: Jella Lepman. Gebt uns Bücher – gebt uns Flügel, in: Birgit KNORR/Rosemarie WEHLING (Hrsg.): Frauen im deutschen Südwesten, Stuttgart 1993, S. 100–104.

  • KATZ, Gabriele: Stuttgarts starke Frauen, Stuttgart 2015.

  • LEPMAN, Jella. Die Kinderbuchbrücke, Frankfurt/M. 1964.

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